Es ist Montagnachmittag: In entspannter Atmosphäre besprechen Andrea S. und Caritas-Mitarbeiter Michael Schiemann die aktuelle familiäre Situation. Beide blicken zurück auf die vergangenen Monate und freuen sich, dass die 16-jährige Tochter nach ihrem Schulabschluss direkt eine Ausbildungsstelle gefunden hat. Das Gespräch findet nicht in einem Büro der Caritas statt, sondern im Rahmen des Bedarfsgemeinschaftscoachings in der Wohnung von Familie S. in einem kleinen Ort an der Untermosel.
Bedarfsgemeinschaftscoaching ist ein arbeitsmarktpolitisches Instrument mit finanzieller Förderung durch den Europäischen Sozialfonds, das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Rheinland-Pfalz sowie das Jobcenter Landkreis Mayen-Koblenz. Seit Januar 2018 wird dieses Konzept kooperativ durch die Komm-Aktiv GmbH für den Standort Mayen und den Caritasverband Koblenz für die Bereiche Untermosel und Weißenthurm umgesetzt.
"Ziel ist es, langzeitleistungsbeziehende Menschen gezielt zu unterstützten und intensiv zu begleiten, um ihre berufliche Integrations- und Beschäftigungsfähigkeit zu erhöhen", sagt der erfahrene Diplom-Sozialarbeiter Michael Schiemann. "Dabei wird das gesamte Familiensystem in den Hilfeprozess eingebunden. So werden die in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Kinder ebenfalls beraten und gefördert."
Die erste Kontaktaufnahme fand gemeinsam mit dem zuständigen Fallmanager des Jobcenters statt, um Andrea S. das Konzept des Coachings vorzustellen, eine freiwillige Maßnahme für die teilnehmenden Familien, ohne Erfolgsdruck und mögliche negative Sanktionen. Die Chemie stimmte von Beginn an, Andrea S. war sehr motiviert. "Ich wollte aus einer Negativspirale ausbrechen und mir und meiner Familie eine neue Perspektive aufbauen", berichtet die alleinerziehende zweifache Mutter, die seit etwas mehr als vier Jahren auf der Suche nach einer Arbeit war.
Dass der Sprung auf den Arbeitsmarkt bis dato nicht gelang, hatte vielfältige Gründe bzw. Hemmnisse, die im Rahmen des Bedarfsgemeinschaftscoachings gemeinsam bearbeitet und aus dem Weg geräumt werden sollten. Nach der Trennung von ihrem Mann hatten sich Schulden angehäuft. Die Betreuung der kranken Eltern, die ebenfalls in der 60 m² Wohnung lebten, war eine weitere Belastung für Andrea S., die sich darüber hinaus überfordert fühlte, als die große Tochter in der Schule Schwierigkeiten bekam. "Die Teilnehmerin stand vor einem schier unüberwindbaren Berg", ergänzt Michael Schiemann. "Im Rahmen der langfristigen Zusammenarbeit konnte sie eine Hürde nach der anderen meistern."
Mindestens einmal in der Woche besuchte der Coach die Familie im häuslichen Umfeld. Darüber hinaus wurden kurzfristige Fragen telefonisch geklärt. Neben der persönlichen Beratung koordinierte der Caritas-Mitarbeiter weitere Unterstützungsmöglichkeiten, stellte beispielsweise den Kontakt zur Schuldnerberatung und einer Beratungsstelle her, die Frau S. wichtige Informationen und finanzielle Fördermöglichkeiten zur Pflege ihrer Eltern vermittelte. "Unser Unterstützungsansatz ist Hilfe zur Selbsthilfe", betont Michael Schiemann. "Es war schön zu beobachten, wie sich bei Frau S. basierend auf der Motivation zur Veränderung nach und nach eine große Eigeninitiative entwickelte."
In der Zwischenzeit wohnt Andrea S. in einer neuen, größeren Wohnung. Die Lebenssituation entspannte sich, der Ortswechsel tat der kleinen Familie gut und war der Startpunkt in eine bessere Zukunft. "Vertrauen war von Anfang an da und wichtig", sagt die 35-Jährige. "Die Begleitung war für uns eine große Stütze, um Fortschritte zu meistern und Tiefen zu überstehen." Die ausgebildete Frisörin fasste neuen Mut und arbeitet in einem Mini-Job. Neben Job und Familie hat sie auch wieder die Muße, ihrer Musikleidenschaft nachzugehen und ist begeisterte Instrumentalistin in einem Musikverein.
Ihr großes Ziel ist es, zumindest eine Teilzeitstelle zu bekommen, um eigenständiger zu werden und die Familie ohne staatliche Leistungen ernähren zu können. Der Grundstein dafür wurde in den vergangenen 12 Monaten durch das Bedarfsgemeinschaftscoaching gelegt, indem durch Stabilisierung und Aktivierung eine neue Perspektive für die Familie geschaffen wurde.